1. Fröhlich sein
Mein erster Gedanke zum Gottesdienst ist: Wie ist es oft trostlos ernst
in unseren Gottesdiensten! Man kommt in die Kirche hinein und ist schon
miesepetrig, und man geht wieder hinaus und ist es immer noch. Es gab nichts zum
Fröhlichsein.
Zuweilen muss ich den englischen
Erweckungsprediger Charles H. Spurgeon aus dem vorletzten Jahrhundert zitieren.
Er sagte: Manche Prediger würden gute Märtyrer abgeben, denn sie würden infolge
ihrer Trockenheit bestimmt gut brennen.
Das ist ja ein bisschen bösartig gesagt. Aber ist
es nicht ein Jammer, wenn es in der Kirche nichts zum Lachen gibt? Ich denke,
Gott lacht sicher manches Mal über uns. Er hat sicher guten Grund dazu. Und auch
wir dürfen fröhlich sein, auch übereinander lachen.
Da gibt es doch diese schöne Geschichte von
Tünnes und Schäl, wo der Tünnes etwas Kräftiges, zur Buße Aufrufendes sagen
möchte und dem Schäl sagt: "Du, Schäl, geh in dich." Und der Schäl sagt
kläglich: "Da war ich schon, da ist auch nichts los."
Unser Gottesdienst ist nämlich etwas anderes: Wir
gehen nicht "in uns", sondern wir gehen "in Gott und in Christus". In ihm haben
wir unseren Halt, durch Christus bekommen wir unsere geschenkte Würde. Dadurch
werden wir frei von uns selbst und offen für andere. Und deshalb können wir über
uns selber lachen, weil wir einen Grund haben, den dieser Gottesdienst feiert:
Jesus Christus. Darauf kommt es an.
2. Gott begegnen
Das ist schon der nächste Punkt. Es kommt darauf an, daß im Gottesdienst eine
Gottesbegegnung stattfindet. Sonst ist das alles nichts. Und zwar wird uns diese
Gottesbegegnung vermittelt durch Christus. Und das können wir nicht
manipulieren, sondern das braucht die Bitte um den heiligen Geist.
3. Sünde und Streit gehören dazu.
Dann ist da die Erinnerung daran, dass auch in der Kirche immer die Sünde da
ist. Das ist natürlich etwas "vorökumenisch", wenn ich das mal etwas
verharmlosend ausdrücken darf. Aber ich will noch etwas differenzierter reden.
Richtig ist daran, dass der Unglaube oder der falsche Glaube immer eine
Möglichkeit in der Kirche ist, da muss man schon aufpassen. Aber falsch ist
daran, finde ich, dass man herumgeht und sagt: "Du bist auch einer, der nicht
recht glaubt und du auch."
Und falsch ist die Verteufelung. Denn die schafft
nur Gräben. Zu wissen ist: die Sünde gehört immer zu unserer Kirche. Da sollen
wir uns auch nichts vormachen. Besonders die eigene, nicht immer die der
anderen, sondern die eigene ist in unserer Kirche. Und dann gehört dazu das
solidarische Tauziehen zwischen denen, die verschiedener Meinung sind. Das
müssen wir in unserer Kirche lernen, dass wir uns streiten, geschwisterlich
streiten! So, dass wir den gemeinsamen Grundkonsens wissen; der ist nämlich das
Kreuz, das dort auf dem Altar steht.
4. Selber beten
Was fehlt in unserem Gottesdienst, ist viertens die Stille, der Zeitraum, in dem
nichts passiert, in dem man seinen Gedanken nachhängen kann. Aber wichtiger noch
ist mir die Gebetsstille. Das gibt es manchmal schon, dass es im Fürbittengebet
heißt: "Und wir beten in der Stille weiter." Aber schon nach 30 Sekunden wird
der Pastor unruhig und beginnt dann mit dem Vaterunser.
In Kasachstan habe ich es in einem der
deutsch-russischen Gottesdienste erlebt, dass dort gesagt wurde: "Lasst uns
beten!" Und plötzlich begann die ganze Gemeinde, jeder einzelne sein Gebet laut,
in etwas klagendem Ton zu sprechen. Jeder brachte das, was ihm wichtig war,
seine Alltagssorgen ausführlich vor Gott. Er würde es sich schon zurecht
sortieren.
Die Menschen wussten offenbar: In unserem
Gottesdienst gibt es einen Bereich, da können wir unsere ganz privaten Sorgen
mindestens fünf Minuten lang Gott sagen. Wir werden das bei uns in dieser lauten
Form nicht machen können. Aber gehörte nicht in unsere Gottesdienste eine
eingeübte Gebetsstille, in der man richtig Zeit hat, alles was einem wichtig
ist, Gott zu sagen? Wenn eine Gemeinde das gewöhnt ist, sind fünf Minuten
Gebetsstille nicht zu lang.
5. Miteinander singen
Dann wäre das Nächste für mich, was Gewicht haben muss: das Singen im
Gottesdienst. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Wenn ich das Glaubensbekenntnis
spreche, meistens, wenn ich mich überhaupt ertappe, dann ertappe ich mich dabei,
dass ich es so herunterspreche. Fast nie fühle ich etwas dabei. Fühlt man etwas
dabei? Selten.
Wenn das vierstimmig gesungen wird, merkt man
plötzlich: das ist ja ein Text, der einem viel besser eingeht, der hat einen
Inhalt. Der Chor singt es vor, dann kann es die Gemeinde mühelos mitsingen. Das
kann man viele Sonntage singen, vierstimmig.
Wir waren in Alma Ata, Freitag morgens. Alma Ata
liegt kurz vor der chinesischen Grenze. Orthodoxer Gottesdienst, Freitag
morgens, normaler Freitag. Wir haben nachher gefragt. Da hatten die für diesen
Freitagmorgen zwölf Sänger angeheuert, bezahlt, damit bei diesem Gottesdienst
ordentlich mehrstimmig gesungen werden konnte.
Was ist das eigentlich? Warum kommt die
Mehrstimmigkeit immer nur von der Orgel? Es ist schön, wenn sie von da kommt.
Aber es ist doch eigentlich viel schöner, wenn der Kantor vor dem Gottesdienst
ein Stück mit der Gemeinde singt, und man kann mehrstimmig singen, einen Kanon
oder was anderes. Und dann nicht immer nur zweimal durch und dann Ende. Diese
Lieder leben doch davon - wenn sie einen vernünftigen Text haben -, daß sie
häufiger gesungen werden. Jetzt habe ich gehört "Laudate omnes gentes", diesen
Taizé-Gesang, dreimal durchgesungen, weg ist er, dabei kann man gar nichts
empfinden, das dauert doch länger.
Und noch etwas, was mich ärgert. Die Gitarren,
wofür werden sie genommen? Immer nur für die neuen Lieder. Ich habe es selber
erlebt im Konfirmandenunterricht bei einer Visitation. Der Pastor sagte: "Wir
singen ein neues Lied", natürlich mit Gitarre. Und dann sagte er: "Nun singen
wir einen Choral." Und legte die Gitarre weg.
Was signalisiert er damit? Das eine ist schön und
neu. Das andere dieser alte Kram, der sowieso nichts taugt. Dabei muss man sich
mal überlegen: Unsere alten Melodien, die sind doch nicht schlechter als die
neuen. Eher umgekehrt. Man muss sie sich mal genau anhören.
Ich hab's 1966 erlebt, dass wir 'Sonne der
Gerechtigkeit' sangen mit einem kleinen Schlagzeug darunter. Da kamen die Leute
hinterher an und sagten: "Das ist aber lustig, da haben sie 1566 stehen, das
muss doch 1966 heißen." "Nee", sage ich, "das ist ein altes Lied. Keine Sorge."
Das heißt: die alten und die neuen Lieder darauf
überprüfen: Geben sie was her? Manche Texte erschließen sich erst durch Singen,
nicht sofort.
Also:das Singen ist sehr wichtig.
6. Gemeinsam vorbereiten - zusammen hingehen.
Ein Letztes: Was für ein Gewicht hat der Gottesdienst eigentlich für uns? Was
ist das, worauf es ankommt, wenn wir Gewicht darauf legen? Beim Gottesdienst in
unserer jeweiligen Gemeinde ist es nötig, dass wir nicht zuerst oder nur über
Gottesdienstformen nachdenken. Sie sind nicht unwichtig, weil wir ja mit den
Formen etwas erleben.
Das Gewicht, das Ansehen, das der Gottesdienst in
einer Gemeinde hat, kann sich daran zeigen, ob es einen Gottesdienstkreis in der
Gemeinde gibt. Mit 'Gottesdienstkreis' meine ich nicht einen
Gottesdienstvorbereitungskreis für jeden Sonntag, das ist auch etwas Schönes.
Ich, meine einen Kreis, der den Gottesdienst begleitet, der regelmäßig darüber
nachdenkt, kritisch, kreativ überlegt, was könnte, müsste sein. Ich bitte Sie zu
überlegen, ob es einen solchen Gottesdienstkreis, der ein Signal für das Gewicht
des Gottesdienstes in Ihrer Gemeinde sein könnte, ob es einen solchen
'Gottesdienst-Bedenk-Kreis' bei Ihnen geben könnte.
Wenn wir aber versuchen, die Menschen dadurch in
den Gottesdienst zu bekommen, dass wir unsere Gottesdienste 'attraktiver'
machen, wenn das unser wesentliches Rezept ist, können wir es gleich aufgeben.
Da kann man immer hinter dem jeweils Passenden hinterherhecheln.
Etwas anderes muss sichtbar werden, etwas, das
wir seit 20 Jahren meist aufgegeben haben. Leute haben sich zum Gottesdienst
verabredet. Sie gehen hin, weil man hingeht. Sie sagen: "Ich gehe hin. Kommst du
auch hin? Wollen wir nicht zusammen gehen?"
Mein Gedanke am Schluss wäre also: Die
Verabredung zum Gottesdienst muss heute wieder ernst genommen werden. Lassen wir
uns gegenseitig nicht allein! Es lohnt, sich zum Gottesdienst zu verabreden. Da
versammelt sich das Leben einer Gemeinde und das persönliche Leben kommt zum
Vorschein. Das ist es, was wir wieder entdecken sollten.
Bearbeiteter Auszug aus: Horst Hirschler:
Betrachtungen zu einem Bild von Johann Dürr, in: Für den Gottesdienst.
Informationen, Angebote, Beobachtungen, Fragen, Antworten. Arbeitsstelle für
Gottesdienst und Kirchenmusik der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers.
Liturgische Konferenz Niedersachsens. Nr. 33, Hannover, November 1989, S.
21-26. Dokumentation eines "Tages für den Gottesdienst. Planspiele für eine
lebendige Liturgie", den die Arbeitsstelle auf dem 23. Dt. Ev. Kirchentag in
Berlin in der dortigen Gustav-Adolf-Kirche durchführte.
Horst Hirschler, D., Landesbischof i.R.:
- geb. am 4. September 1933 in Stuttgart
- 1951-54 Lehre als Starkstrom-/Betriebs-Elektriker bei der Fa. Bosch in
Hildesheim
- 1955 Abitur am Abendgymnasium in Hildesheim
- 1955-59 Theologiestudium
- 1962-65 Schülerpastor im Landesjugendpfarramt und Landeswart der ev.
Schülerbibelkreise in Niedersachsen
- 1965-70 Gemeindepfarrer in Lüneburg und Deutsch Evern
- 1970-77 Studiendirektor am Predigerseminar in Loccum
- 1977-88 Landessuperintendent für den Sprengel Göttingen
- 1988-99 Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers
- 1992 Ehrendoktor der Kirchlichen Hochschule Leipzig
- Seit 2000 Abt des evangelischen Klosters Loccum
- 2009 Predigtpreisträger des Verlags für die Deutsche Wirtschaft (Bonn)
Veröffentlichungen:
Konkret predigen, 1977
Luther ist uns weit voraus, 1996
Biblisch predigen, 1998
Im Lichte des Evangeliums, 2004
Link:
http://www.de.wikipedia.org/wiki/Horst_Hirschler