Worauf es im Gottesdienst ankommt:

Gemeinsam Gott begegnen


Horst Hirschler



1. Fröhlich sein
2. Gott begegnen
3. Sünde und Streit gehören dazu.
4. Selber beten
5. Miteinander singen
6. Gemeinsam vorbereiten - zusammen hingehen

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1. Fröhlich sein
Mein erster Gedanke zum Gottesdienst ist: Wie ist es oft trostlos ernst in unseren Gottesdiensten! Man kommt in die Kirche hinein und ist schon miesepetrig, und man geht wieder hinaus und ist es immer noch. Es gab nichts zum Fröhlichsein.
      Zuweilen muss ich den englischen Erweckungsprediger Charles H. Spurgeon aus dem vorletzten Jahrhundert zitieren. Er sagte: Manche Prediger würden gute Märtyrer abgeben, denn sie würden infolge ihrer Trockenheit bestimmt gut brennen.
      Das ist ja ein bisschen bösartig gesagt. Aber ist es nicht ein Jammer, wenn es in der Kirche nichts zum Lachen gibt? Ich denke, Gott lacht sicher manches Mal über uns. Er hat sicher guten Grund dazu. Und auch wir dürfen fröhlich sein, auch übereinander lachen.
      Da gibt es doch diese schöne Geschichte von Tünnes und Schäl, wo der Tünnes etwas Kräftiges, zur Buße Aufrufendes sagen möchte und dem Schäl sagt: "Du, Schäl, geh in dich." Und der Schäl sagt kläglich: "Da war ich schon, da ist auch nichts los."
      Unser Gottesdienst ist nämlich etwas anderes: Wir gehen nicht "in uns", sondern wir gehen "in Gott und in Christus". In ihm haben wir unseren Halt, durch Christus bekommen wir unsere geschenkte Würde. Dadurch werden wir frei von uns selbst und offen für andere. Und deshalb können wir über uns selber lachen, weil wir einen Grund haben, den dieser Gottesdienst feiert: Jesus Christus. Darauf kommt es an.

2. Gott begegnen
Das ist schon der nächste Punkt. Es kommt darauf an, daß im Gottesdienst eine Gottesbegegnung stattfindet. Sonst ist das alles nichts. Und zwar wird uns diese Gottesbegegnung vermittelt durch Christus. Und das können wir nicht manipulieren, sondern das braucht die Bitte um den heiligen Geist.

3. Sünde und Streit gehören dazu.
Dann ist da die Erinnerung daran, dass auch in der Kirche immer die Sünde da ist. Das ist natürlich etwas "vorökumenisch", wenn ich das mal etwas verharmlosend ausdrücken darf. Aber ich will noch etwas differenzierter reden. Richtig ist daran, dass der Unglaube oder der falsche Glaube immer eine Möglichkeit in der Kirche ist, da muss man schon aufpassen. Aber falsch ist daran, finde ich, dass man herumgeht und sagt: "Du bist auch einer, der nicht recht glaubt und du auch."
      Und falsch ist die Verteufelung. Denn die schafft nur Gräben. Zu wissen ist: die Sünde gehört immer zu unserer Kirche. Da sollen wir uns auch nichts vormachen. Besonders die eigene, nicht immer die der anderen, sondern die eigene ist in unserer Kirche. Und dann gehört dazu das solidarische Tauziehen zwischen denen, die verschiedener Meinung sind. Das müssen wir in unserer Kirche lernen, dass wir uns streiten, geschwisterlich streiten! So, dass wir den gemeinsamen Grundkonsens wissen; der ist nämlich das Kreuz, das dort auf dem Altar steht.

4. Selber beten
Was fehlt in unserem Gottesdienst, ist viertens die Stille, der Zeitraum, in dem nichts passiert, in dem man seinen Gedanken nachhängen kann. Aber wichtiger noch ist mir die Gebetsstille. Das gibt es manchmal schon, dass es im Fürbittengebet heißt: "Und wir beten in der Stille weiter." Aber schon nach 30 Sekunden wird der Pastor unruhig und beginnt dann mit dem Vaterunser.
      In Kasachstan habe ich es in einem der deutsch-russischen Gottesdienste erlebt, dass dort gesagt wurde: "Lasst uns beten!" Und plötzlich begann die ganze Gemeinde, jeder einzelne sein Gebet laut, in etwas klagendem Ton zu sprechen. Jeder brachte das, was ihm wichtig war, seine Alltagssorgen ausführlich vor Gott. Er würde es sich schon zurecht sortieren.
      Die Menschen wussten offenbar: In unserem Gottesdienst gibt es einen Bereich, da können wir unsere ganz privaten Sorgen mindestens fünf Minuten lang Gott sagen. Wir werden das bei uns in dieser lauten Form nicht machen können. Aber gehörte nicht in unsere Gottesdienste eine eingeübte Gebetsstille, in der man richtig Zeit hat, alles was einem wichtig ist, Gott zu sagen? Wenn eine Gemeinde das gewöhnt ist, sind fünf Minuten Gebetsstille nicht zu lang.

5. Miteinander singen
Dann wäre das Nächste für mich, was Gewicht haben muss: das Singen im Gottesdienst. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Wenn ich das Glaubensbekenntnis spreche, meistens, wenn ich mich überhaupt ertappe, dann ertappe ich mich dabei, dass ich es so herunterspreche. Fast nie fühle ich etwas dabei. Fühlt man etwas dabei? Selten.
      Wenn das vierstimmig gesungen wird, merkt man plötzlich: das ist ja ein Text, der einem viel besser eingeht, der hat einen Inhalt. Der Chor singt es vor, dann kann es die Gemeinde mühelos mitsingen. Das kann man viele Sonntage singen, vierstimmig.
      Wir waren in Alma Ata, Freitag morgens. Alma Ata liegt kurz vor der chinesischen Grenze. Orthodoxer Gottesdienst, Freitag morgens, normaler Freitag. Wir haben nachher gefragt. Da hatten die für diesen Freitagmorgen zwölf Sänger angeheuert, bezahlt, damit bei diesem Gottesdienst ordentlich mehrstimmig gesungen werden konnte.
      Was ist das eigentlich? Warum kommt die Mehrstimmigkeit immer nur von der Orgel? Es ist schön, wenn sie von da kommt. Aber es ist doch eigentlich viel schöner, wenn der Kantor vor dem Gottesdienst ein Stück mit der Gemeinde singt, und man kann mehrstimmig singen, einen Kanon oder was anderes. Und dann nicht immer nur zweimal durch und dann Ende. Diese Lieder leben doch davon - wenn sie einen vernünftigen Text haben -, daß sie häufiger gesungen werden. Jetzt habe ich gehört "Laudate omnes gentes", diesen Taizé-Gesang, dreimal durchgesungen, weg ist er, dabei kann man gar nichts empfinden, das dauert doch länger.
      Und noch etwas, was mich ärgert. Die Gitarren, wofür werden sie genommen? Immer nur für die neuen Lieder. Ich habe es selber erlebt im Konfirmandenunterricht bei einer Visitation. Der Pastor sagte: "Wir singen ein neues Lied", natürlich mit Gitarre. Und dann sagte er: "Nun singen wir einen Choral." Und legte die Gitarre weg.
      Was signalisiert er damit? Das eine ist schön und neu. Das andere dieser alte Kram, der sowieso nichts taugt. Dabei muss man sich mal überlegen: Unsere alten Melodien, die sind doch nicht schlechter als die neuen. Eher umgekehrt. Man muss sie sich mal genau anhören.
      Ich hab's 1966 erlebt, dass wir 'Sonne der Gerechtigkeit' sangen mit einem kleinen Schlagzeug darunter. Da kamen die Leute hinterher an und sagten: "Das ist aber lustig, da haben sie 1566 stehen, das muss doch 1966 heißen." "Nee", sage ich, "das ist ein altes Lied. Keine Sorge."
      Das heißt: die alten und die neuen Lieder darauf überprüfen: Geben sie was her? Manche Texte erschließen sich erst durch Singen, nicht sofort.
      Also:das Singen ist sehr wichtig.

6. Gemeinsam vorbereiten - zusammen hingehen.
Ein Letztes: Was für ein Gewicht hat der Gottesdienst eigentlich für uns? Was ist das, worauf es ankommt, wenn wir Gewicht darauf legen? Beim Gottesdienst in unserer jeweiligen Gemeinde ist es nötig, dass wir nicht zuerst oder nur über Gottesdienstformen nachdenken. Sie sind nicht unwichtig, weil wir ja mit den Formen etwas erleben.
      Das Gewicht, das Ansehen, das der Gottesdienst in einer Gemeinde hat, kann sich daran zeigen, ob es einen Gottesdienstkreis in der Gemeinde gibt. Mit 'Gottesdienstkreis' meine ich nicht einen Gottesdienstvorbereitungskreis für jeden Sonntag, das ist auch etwas Schönes. Ich, meine einen Kreis, der den Gottesdienst begleitet, der regelmäßig darüber nachdenkt, kritisch, kreativ überlegt, was könnte, müsste sein. Ich bitte Sie zu überlegen, ob es einen solchen Gottesdienstkreis, der ein Signal für das Gewicht des Gottesdienstes in Ihrer Gemeinde sein könnte, ob es einen solchen 'Gottesdienst-Bedenk-Kreis' bei Ihnen geben könnte.
      Wenn wir aber versuchen, die Menschen dadurch in den Gottesdienst zu bekommen, dass wir unsere Gottesdienste 'attraktiver' machen, wenn das unser wesentliches Rezept ist, können wir es gleich aufgeben. Da kann man immer hinter dem jeweils Passenden hinterherhecheln.
      Etwas anderes muss sichtbar werden, etwas, das wir seit 20 Jahren meist aufgegeben haben. Leute haben sich zum Gottesdienst verabredet. Sie gehen hin, weil man hingeht. Sie sagen: "Ich gehe hin. Kommst du auch hin? Wollen wir nicht zusammen gehen?"
      Mein Gedanke am Schluss wäre also: Die Verabredung zum Gottesdienst muss heute wieder ernst genommen werden. Lassen wir uns gegenseitig nicht allein! Es lohnt, sich zum Gottesdienst zu verabreden. Da versammelt sich das Leben einer Gemeinde und das persönliche Leben kommt zum Vorschein. Das ist es, was wir wieder entdecken sollten.


Bearbeiteter Auszug aus: Horst Hirschler: Betrachtungen zu einem Bild von Johann Dürr, in: Für den Gottesdienst. Informationen, Angebote, Beobachtungen, Fragen, Antworten. Arbeitsstelle für Gottesdienst und Kirchenmusik der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers. Liturgische Konferenz Niedersachsens. Nr. 33, Hannover, November 1989, S. 21-26. Dokumentation eines "Tages für den Gottesdienst. Planspiele für eine lebendige Liturgie", den die Arbeitsstelle auf dem 23. Dt. Ev. Kirchentag in Berlin in der dortigen Gustav-Adolf-Kirche durchführte.


Horst Hirschler, D., Landesbischof i.R.:

  • geb. am 4. September 1933 in Stuttgart

  • 1951-54 Lehre als Starkstrom-/Betriebs-Elektriker bei der Fa. Bosch in Hildesheim

  • 1955 Abitur am Abendgymnasium in Hildesheim

  • 1955-59 Theologiestudium

  • 1962-65 Schülerpastor im Landesjugendpfarramt und Landeswart der ev. Schülerbibelkreise in Niedersachsen

  • 1965-70 Gemeindepfarrer in Lüneburg und Deutsch Evern

  • 1970-77 Studiendirektor am Predigerseminar in Loccum

  • 1977-88 Landessuperintendent für den Sprengel Göttingen

  • 1988-99 Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers

  • 1992 Ehrendoktor der Kirchlichen Hochschule Leipzig

  • Seit 2000 Abt des evangelischen Klosters Loccum

  • 2009 Predigtpreisträger des Verlags für die Deutsche Wirtschaft (Bonn)


Veröffentlichungen:

Konkret predigen, 1977
Luther ist uns weit voraus, 1996
Biblisch predigen, 1998
Im Lichte des Evangeliums, 2004

Link:

http://www.de.wikipedia.org/wiki/Horst_Hirschler

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