Wie wünschen wir uns
den Gottesdienst der Zukunft?


Joachim Stalmann



1. Gottesdienst - wesensgemäß -
2. ein Fest mit Christus in der Gemeinde
3. inmitten der Schöpfung
4. selber gestaltet
5. von vielen in der Gemeinde
6. für den Alltag
7. festlich
8. dialogisch
9. einladend
10. erneuert.


Zur Biographie


1. Gottesdienst - wesensgemäß -
Gottesdienst sollte so sein, wie er seinem neutestamentlich-christlichen Wesen nach entstand: Da feiern Christen, dass Christus auferstanden und mitten unter ihnen, wenn auch noch verborgen, gegenwärtig ist und lebt.

2. ein Fest mit Christus in der Gemeinde
Jeder Gottesdienst sollte also dreierlei erreichen: er soll Fest-Gottesdienst sein, und sei es in noch so bescheidenem Rahmen. Er ist bestimmt, Gemeinde-Gottesdienst zu sein, und seien auch nur "zwei oder drei" in Christi Namen versammelt. Vor allem aber hat er die Verheißung, dass Christus mitten unter denen ist, die in seinem Namen versammelt sind (Mt 18,20). Von hier aus wird uns Gottesdienst zur Gestaltungsaufgabe.

3. inmitten der Schöpfung
Gottesdienst als Feier der Gemeinde ist Teil eines umfassenden Geschehens. Denn nach dem Neuen Testament ist das ganze Leben der Christen als Jünger und Jüngerinnen Christi ein einziger Gottesdienst. Themen des Alltags und der Welt gehören deshalb in den gefeierten Gottesdienst hinein. Wir feiern Gottesdienst inmitten und als Teil der Schöpfung, mit Gaben des Schöpfers wie Brot und Wein. Deshalb gehören auch das Lob des Schöpfers und der Schöpfung ebenso wie unsere Für-Sorge und Für-Bitte für die Welt in den gefeierten Gottesdienst.

4. selber gestaltet
Gemeinde-Gottesdienst soll auch von Gemeinde gestaltet werden. Denn Christus erfüllt seine Jünger mit seinem Geist: mit Geist Gottes - wir sagen: "Heiligem Geist". Aus diesem Geist heraus entwickeln sich in jeder Gemeinde "Geistesgaben". Die dürfen, ja sollen sich nun aber auch im Gottesdienst entfalten und betätigen. Eben so stellt sich Gemeinde im Sinne des Paulus als "Leib Christi" dar. Nicht ein Pastor oder eine Pastorin allein "hält" Gottesdienst, sondern die ganze Gemeinde. Diese Erkenntnis darf nicht länger so weitgehend bloße Theorie bleiben.

5. von vielen in der Gemeinde
Das Leben der Gemeinde in ihrer Vielfalt muss im Sonntagsgottesdienst stärker in Erscheinung treten; Gemeindegruppen müssten ihn mitgestalten. Der gefeierte Gottesdienst ist Teil des Gemeindelebens und soll mit diesem in einen beständigen Austausch treten.

6. für den Alltag
Unsere Gottesdienste müssen aus ihrer derzeitigen Isolierung befreit werden. Der Alltag des Christen, das Leben der Gemeinde und die Feier der lebensvollen Gegenwart Christi machen erst in ihrer Zusammengehörigkeit die ganze Wirklichkeit des Gottesdienstes aus. Sie brauchen sich gegenseitig, um wirklich Gottesdienst zu sein.

7. festlich
Unsere Gottesdienste müssen festlicher werden. Den Gottesdienst der Christen können wir auch beschreiben als "Feier der von Gott geschenkten Zeit". Gott hat Zeit für uns übrig und er schenkt uns Zeit: Zeit zum Leben, Zeit mit einer Hoffnung über dies Leben hinaus. Durch die Auferstehung Christi gibt er unserer Zeit seine Richtung: An ihrem Ende wird er "alles in allem" sein. Das ist wahrlich ein Anlass zum Feiern, zum Gottesdienst. In dieser Feier der Auferstehung nämlich wird erlebt, dass und wie Gott uns Zeit schenkt, wie er unseren Alltag als Christen und Gemeinde damit verwandelt.

8. dialogisch
Wir brauchen Formen des Dialogs und der Gemeinschaft im Gottesdienst, etwa bei den Gebeten oder der Abendmahlsausteilung, in denen Leute von heute sich mitteilen und wiederfinden können. Dialog und Gemeinschaft vollziehen sich zwischen Gott und Menschen und zugleich zwischen Menschen in Gottes Gegenwart. Das sind nicht zwei verschiedene Ebenen, denn Gott in Christus ist in unsere Menschlichkeit eingegangen.
      Der gefeierte Gottesdienst lebt vom Zeugnis der heiligen Schrift und von den durch Christus gestifteten Zeichen. Deshalb wird im Kern unseres Gottesdienstes das Wort Gottes zu verkündigen und das Sakrament zu feiern sein. Das ist die eine Seite. Gottes Wort aber ergeht durch Menschenmund; seine Gaben gehen durch unsere Hände. Und beidem entspricht auf Seiten der Gemeinde das Antworten und das Empfangen. Zu unserem Gottesdienst gehören deshalb auch Gesang und Gebet, Geben und Nehmen, Zuwendung und gemeinsames Handeln. In diesem lebendigen und vielfältigen Geschehen erleben wir die Nähe Gottes inmitten unseres Lebens.

9. einladend
Im Gottesdienst soll sich die Gemeinde zu Hause und der Fremde zum Mitfeiern eingeladen fühlen. Gottesdienst wird immer in einer gewachsenen und verantworteten Tradition stehen. Er wird diese aber nicht als Geheimsache von Eingeweihten hüten, sondern als erprobtes und bewährtes Feiern möglichst vielen Menschen nahebringen.
      Gottesdienst bedarf heute der Erklärung und der Einführung, er bedarf aber noch mehr eines in sich überzeugenden Rituals, also eines geordneten Vollzugs, der ungeübte Kirchgänger nicht ausschließt, sondern zum Mitvollzug ermutigt. Und seine Form und Sprache bedürfen der Mitgestaltung durch "Leute von heute", sie können nicht mehr wie die bisherigen Agenden - allein von Fachleuten gemacht werden. Denn die Fachleute für Gemeinde stellt diese selbst. So brauchen wir auf allen Ebenen, gerade auch in den Gemeinden, gottesdienstliche Arbeitskreise, in denen Frauen und Männer, verschiedene Generationen und Gesellschaftsschichten zusammenarbeiten.

10. erneuert.
Inmitten gewachsener Tradition wird der Gottesdienst als vom Geist und von der Gegenwart Gottes inspiriertes Geschehen - auch immer unsere Phantasie herausfordern. Es gibt dabei keinen von vornherein festgelegten Stil und keine von vornherein ausgeschlossenen Ausdrucksmittel, wohl aber die Notwendigkeit sachgemäßer Gestaltung und Zusammenarbeit. So wartet unser Gottesdienst auf Erneuerung, ist er für jede Gemeinde und für jeden Christen eine beständige Gestaltungsaufgabe: nicht leicht, aber ganz gewiss sehr reizvoll und verlockend.


Aus der Dokumentation eines "Tages für den Gottesdienst. Planspiele für eine lebendige Liturgie" in der Gustav-Adolf-Kirche, Berlin, anlässlich des 23. Dt. Ev. Kirchentages in Berlin, Freitag, 9. Juni 1989, gestaltet von der Arbeitsstelle für Gottesdienst und Kirchenmusik, Hannover. In: Für den Gottesdienst. Informationen, Angebote, Betrachtungen, Fragen, Antworten. Arbeitsstelle für Gottesdienst und Kirchenmusik der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers. Liturgische Konferenz Niedersachsens, Nr. 33, Hannover, November 1989, S. 19f.


Joachim Stalmann, Dr. phil., Prof. em.:

geb. 1931,Theologe u. Musikwissenschaftler (Hymnologe),
1962-72 Gemeindepfarrer in Bremke bei Göttingen
seit 1972 Mitarbeiter und seit 1977 Leiter der Arbeitsstelle für Gottesdienst und Kirchenmusik Hannover,
1984-99 Honorarprofessor an der Musikhochschule Detmold u. 1995-2006 an der Hochschule für Künste Bremen,
1969-88 Geschäftsführer, anschließend bis 2003 Vorsitzender der Liturgischen Konferenz Niedersachsens,
1976-2002 Vorsitzender des Musikausschusses der Liturgischen Konferenz Deutschlands,
seit 1983 Editionsleiter und bis 2003 auch Vorsitzender der 'Gesellschaft zur wissenschaftlichen Edition des deutschen Kirchenlieds e. V.',
seit 1996 im Ruhestand.


Veröffentlichungen:

Tagesordnungspunkt Gottesdienst, Hannover 1984, 5. Aufl. 1994
Handbuch zum evangelischen Kirchengesangbuch, Bd. 3, Liederkunde, Göttingen 1990
Gottesdienst - erklärt. Kleine Gottesdienstkunde für die Gemeinde, Hannover 1992
Kompendium zur Kirchenmusik. Überblick über die Hauptepochen der evangelischen Kirchenmusik und ihre Vorgeschichte, Hannover 2001.

Link:

http://de.wikipedia.org/wiki/Liturgische_Konferenz_Niedersachsens

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